Die unterschätzte Option
Im deutschen Mittelstand gilt die Unternehmensnachfolge immer noch in erster Linie als familieninterne Angelegenheit. Viele Eigentümer planen für die nächste Generation – oft ohne zu hinterfragen, ob diese den Betrieb tatsächlich übernehmen möchte oder die nötigen Kompetenzen mitbringt. Externe Nachfolge gilt häufig als Notlösung, als Plan B, wenn keine Familienmitglieder zur Verfügung stehen.
Doch diese Sichtweise greift zu kurz. Externe Nachfolge ist keine Kapitulation, sondern kann eine strategische Entscheidung sein, um Unternehmen langfristig erfolgreich aufzustellen. In meiner eigenen Forschung im Rahmen meiner DBA-Thesis habe ich zahlreiche Unternehmer, Erben und externe Manager interviewt. Die Ergebnisse zeigen: Externe Nachfolger bringen nicht nur frische Perspektiven, sondern können Brücken schlagen zwischen Tradition und Zukunft.
Ein Beispiel verdeutlicht dies: Ein Maschinenbauunternehmen mit 120 Mitarbeitenden stand vor der Frage, wie es nach 40 Jahren erfolgreicher Führung weitergehen sollte. Die beiden Kinder des Inhabers hatten sich gegen eine Übernahme entschieden. Anstatt das Unternehmen zu verkaufen, entschied sich der Eigentümer für einen erfahrenen externen Geschäftsführer. Fünf Jahre später hatte das Unternehmen seinen Umsatz verdoppelt, neue internationale Märkte erschlossen und war technologisch auf dem neuesten Stand – ohne seine Wurzeln zu verlieren.
Diese Geschichte ist kein Einzelfall, sondern ein Beispiel für das Potenzial externer Nachfolge im Mittelstand.
Status quo – Nachfolge in Zahlen und Realität
Die Herausforderung der Unternehmensnachfolge ist im deutschen Mittelstand seit Jahren ein drängendes Thema. Laut IfM Bonn stehen bis 2027 jährlich etwa 30.000 Unternehmensübergaben an. Rund die Hälfte dieser Betriebe ist familiengeführt. Während in der öffentlichen Wahrnehmung die familieninterne Nachfolge dominiert, zeigen Studien, dass immer mehr Übergaben an externe Führungskräfte erfolgen – teils aus Mangel an geeigneten Erben, teils aus strategischen Gründen.
Im internationalen Vergleich ist der Anteil externer Nachfolgen in Deutschland jedoch immer noch niedrig. In den USA oder Skandinavien sind externe Manager in Familienunternehmen weit verbreitet. Dort gilt es als professioneller Standard, die bestmögliche Person für die Führung auszuwählen – unabhängig vom familiären Hintergrund.
In Deutschland hingegen wird die externe Nachfolge häufig mit dem Verlust von Tradition und Kultur gleichgesetzt. Diese Haltung ist oft emotional geprägt, basiert auf Ängsten vor Kontrollverlust und unterschätzt die Möglichkeiten professioneller Integration.
Warum externe Nachfolge funktioniert – und wann nicht
Der Erfolg einer externen Nachfolge hängt von mehreren Faktoren ab, die sowohl in meiner Forschung als auch in der Praxis immer wieder deutlich werden.
Vorteile:
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Professionalisierung: Externe Manager bringen neue Managementmethoden, Branchenkenntnisse und Netzwerke mit.
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Objektiver Blick: Sie sind nicht durch familiäre Konflikte oder Betriebsblindheit geprägt.
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Wachstumschancen: Externe Nachfolger erkennen oft ungenutzte Marktpotenziale.
Risiken:
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Kulturbruch: Fehlende Sensibilität für Unternehmenswerte kann zu Akzeptanzproblemen führen.
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Vertrauensdefizit: Ohne gezielte Beziehungspflege kann Misstrauen zwischen Eigentümern, Belegschaft und neuem Management entstehen.
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Überforderung: Gerade in inhabergeführten Unternehmen kann der Anpassungsdruck hoch sein, wenn Strukturen unzureichend dokumentiert sind.
Entscheidend ist die Passung zwischen Person, Unternehmen und Eigentümerfamilie. In meiner Forschung nutze ich dafür das Konzept des Narrative Alignment: Nur wenn die Erzählung des Unternehmens und die persönliche Geschichte des neuen Managers kompatibel sind, entsteht Vertrauen.
Forschungseinblicke – Stimmen aus dem Feld
Unternehmerperspektive:
„Es ging mir nicht darum, einfach jemanden zu finden, der die Zahlen im Griff hat. Ich wollte jemanden, der versteht, warum wir hier in dieser Region produzieren, warum unsere Kunden uns seit Jahrzehnten treu sind. Ohne dieses Verständnis hätte es nicht funktioniert.“
Erbenperspektive:
„Ich habe früh gemerkt, dass ich meinen eigenen beruflichen Weg gehen möchte. Aber das Unternehmen sollte weiterleben. Die Entscheidung für einen externen Nachfolger war hart für meine Eltern, aber sie war richtig.“
Externer Manager:
„Die ersten sechs Monate waren entscheidend. Ich habe bewusst nichts verändert, sondern zugehört, Strukturen verstanden und Vertrauen aufgebaut. Erst danach konnte ich meine Ideen einbringen.“
Diese Aussagen zeigen: Externe Nachfolge ist nicht nur eine organisatorische, sondern vor allem eine emotionale und kulturelle Herausforderung.
Fünf Mythen über externe Nachfolge – und warum sie falsch sind
Mythos 1: Externe verstehen die DNA des Unternehmens nicht.
Fakt: Gute externe Nachfolger investieren Zeit, um Werte, Kultur und Historie zu verstehen – oft intensiver als interne Kandidaten.
Mythos 2: Die Belegschaft akzeptiert nur Familienmitglieder.
Fakt: Akzeptanz entsteht durch transparente Kommunikation, klare Ziele und respektvolles Handeln – unabhängig vom Nachnamen.
Mythos 3: Externe sind nur auf kurzfristigen Gewinn aus.
Fakt: Professionelle Manager arbeiten mit strategischen Horizonten von fünf bis zehn Jahren, insbesondere in Familienunternehmen.
Mythos 4: Externe kosten mehr, als sie bringen.
Fakt: Die Investition in erfahrene Führung zahlt sich aus, wenn sie neue Märkte erschließen, Effizienz steigern und Innovationen vorantreiben.
Mythos 5: Externe zerstören Traditionen.
Fakt: Die besten externen Nachfolger bewahren Traditionen – und entwickeln sie weiter, um sie zukunftsfähig zu machen.
Best Practices – Wie externe Nachfolge gelingt
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Frühzeitige Kommunikation: Der Übergabeprozess sollte mindestens zwei Jahre vor dem geplanten Wechsel beginnen.
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Doppelspitze als Übergangsmodell: Ein gemeinsames Führen von Altinhaber und neuem Manager kann Wissenstransfer und Vertrauen fördern.
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Klare Governance-Strukturen: Rollen, Verantwortlichkeiten und Entscheidungswege müssen eindeutig definiert sein.
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Mentoring durch den Altinhaber: Regelmäßiger Austausch verhindert Missverständnisse und unterstützt kulturelle Integration.
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Integration ins Netzwerk: Der neue Manager muss Zugang zu Lieferanten, Kunden und regionalen Stakeholdern erhalten.
Fallstudie – Vom Familienbetrieb zum internationalen Player
Ein süddeutscher Hersteller von Spezialwerkzeugen stand vor der Herausforderung, dass kein Familienmitglied die Nachfolge antreten wollte. Die Eigentümer entschieden sich für einen externen Geschäftsführer mit internationaler Vertriebserfahrung.
Ausgangslage: Stagnierendes Wachstum, veraltete Produktionsanlagen, starke regionale Fokussierung.
Maßnahmen:
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Investition in moderne Fertigungstechnologien
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Ausbau des Exportgeschäfts
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Einführung eines modernen ERP-Systems
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Schulung und Weiterbildung der Belegschaft
Ergebnis nach fünf Jahren: Umsatzplus von 70 %, Exportanteil verdoppelt, signifikante Steigerung der Innovationsrate.
Fazit – Vom Tabu zur strategischen Option
Externe Nachfolge ist im deutschen Mittelstand noch immer mit Vorurteilen behaftet. Doch die Realität zeigt: Sie kann nicht nur Unternehmen retten, sondern auch deren Zukunft sichern. Entscheidend ist eine sorgfältige Auswahl, eine klare Integrationsstrategie und der Wille aller Beteiligten, gemeinsam Verantwortung zu tragen.
Der Mittelstand steht vor einer Welle von Übergaben. Wer den Mut hat, externe Nachfolger nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu sehen, eröffnet seinem Unternehmen neue Perspektiven – ohne seine Wurzeln zu verlieren.