Warum gerade Familienunternehmen Antworten auf Fragen geben, die sich viele gar nicht mehr stellen
Der Schlüsselmoment
Vor ein paar Jahren saß ich mit einem Unternehmer zusammen. Es war Winter, sein Sohn kam gerade von der Berufsschule, der Vater sortierte Lieferscheine. Nichts an dieser Szene schien besonders. Und doch sagte er etwas, das mir bis heute nachgeht:
„Wissen Sie, Herr Neusser – ich baue das hier nicht für die Börse. Ich baue das für ihn.“
Diese Haltung war kein Slogan. Sie war spürbar. Im Umgang mit Mitarbeitenden. Im Umgang mit Kunden. Und im Umgang mit sich selbst.
Warum Familienunternehmen unterschätzt werden
Familienunternehmen gelten oft als altmodisch. Als langsam. Als emotional. Viele Berater verdrehen innerlich die Augen, wenn sie das Wort hören. Zu unprofessionell, zu persönlich, zu wenig skalierbar.
Warum eigentlich?
Weil viele Entscheider vergessen, wie wertvoll Langfristigkeit ist. Weil in Konzernwelten Quartalszahlen den Takt vorgeben. Und weil Familienunternehmer oft nicht laut trommeln. Sondern still wirken.
Doch genau das macht sie so stark.Fakten statt Vorurteile
Familienunternehmen sind kein Nischenthema. In Deutschland machen sie rund 90 Prozent aller Unternehmen aus. Sie beschäftigen über 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Und: Sie denken oft nicht in Jahren, sondern in Generationen.
Eine Studie des IfM Bonn zeigt: Familienunternehmen überleben Krisen besser. Sie investieren vorsichtiger, aber nachhaltiger. Sie bauen auf Vertrauen, nicht nur auf Verträge.
Warum wird das übersehen?
Weil diese Unternehmen selten in der Presse auftauchen. Weil sie keine PR-Abteilungen haben. Und weil sie lieber machen als reden.
Was sie besser machen – ohne es zu wissen
Viele Stärken von Familienunternehmen sind keine geplanten Strategien. Sie sind gelebte Praxis. Hier ein paar Beispiele:
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Entscheidungen fallen schnell, weil die Wege kurz sind.
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Verantwortung wird übernommen – auch wenn’s schwierig wird.
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Kundenbeziehungen sind oft über Jahrzehnte gewachsen.
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Mitarbeitende bleiben, weil sie Teil von etwas Größerem sind.
Das klingt nach Wunschdenken? Nein. Es ist Alltag in vielen Betrieben, die keiner kennt – aber jeder braucht.
Die Kehrseite der Medaille
Natürlich läuft nicht alles rund. In vielen Familienbetrieben gibt es blinde Flecken. Zu nennen sind:
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Keine klare Rollenverteilung zwischen Familie und Betrieb.
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Nachfolgeregelungen, die aufgeschoben werden.
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Emotionen, die Entscheidungen überlagern.
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Wachstum, das durch Loyalität gebremst wird.
Diese Schwächen sind kein Drama. Aber sie müssen gesehen und benannt werden. Nur dann kann man sie angehen.
Was Entscheider daraus lernen können
Auch wenn Sie kein Familienunternehmen führen: Es lohnt sich, hinzusehen. Denn Familienunternehmen sind nicht rückständig. Sie sind oft voraus – nur auf eine andere Art. Hier drei Impulse:
Erstens: Haltung schlägt Strategie.
Viele Unternehmer wissen genau, wofür sie morgens aufstehen. Diese Klarheit ersetzt kein PowerPoint-Deck. Sie schafft Orientierung – intern wie extern.
Zweitens: Beziehungen sind das wahre Kapital.
Wer 30 Jahre mit denselben Lieferanten arbeitet, weiß: Vertrauen spart Verträge. Diese Beziehungspflege ist kein Kaffeeklatsch. Sie ist Teil der Strategie.
Drittens: Nachhaltigkeit ist kein Trend.
Während andere noch Nachhaltigkeitsberichte schreiben, leben viele Familienbetriebe bereits seit Jahrzehnten nachhaltig. Nicht, weil es modern ist. Sondern, weil sie wissen: Ihre Kinder übernehmen das einmal.
Handlungsempfehlungen für Unternehmerinnen und Unternehmer
Wie können Familienunternehmen ihre Stärken bewahren – und zugleich moderner werden?
1. Nachfolge frühzeitig planen
Warten Sie nicht auf den richtigen Moment. Er kommt nicht. Beginnen Sie mit Gesprächen, bevor es dringend wird.
2. Rollen klären
Wer ist Gesellschafter? Wer ist Geschäftsführer? Wer ist beides? Klare Rollenverteilung schafft Klarheit – auch im Familienleben.
3. Externe Stimmen zulassen
Ein Beirat, ein Coach, ein externer Geschäftsführer: All das kann helfen, blinde Flecken zu erkennen. Ohne die Kontrolle zu verlieren.
4. Kultur bewusst gestalten
Schreiben Sie auf, was Ihnen wichtig ist. Was soll bleiben, wenn Sie einmal nicht mehr da sind? Das ist kein romantischer Akt. Es ist Führung.
5. Kommunikation ernst nehmen
Nicht jede Information muss perfekt verpackt sein. Aber sie muss da sein. Ein gutes Intranet, regelmäßige Gespräche, ehrliche Worte – das reicht oft schon.
Story aus der Praxis
Ein Betrieb im Schwarzwald stand vor der Nachfolgefrage. Drei Kinder, keine klare Zusage. Der Vater wollte das Thema nicht drängen.
Wir führten Gespräche – offen, ehrlich, manchmal auch schmerzhaft. Am Ende übernahm nicht das älteste Kind, sondern die Tochter in Teilzeit. Mit einem externen Partner an ihrer Seite.
Heute läuft der Betrieb besser denn je. Die neue Doppelspitze bringt neue Impulse. Und der Vater ist erleichtert – weil er loslassen konnte, ohne alles zu verlieren.
Was wir von Familienunternehmen lernen können
In einer Zeit, in der alles schneller, größer, lauter wird, wirken Familienbetriebe fast aus der Zeit gefallen. Und doch: Vielleicht liegt genau darin ihre Stärke.
Sie erinnern uns daran, dass nicht alles skaliert werden muss.
Dass Vertrauen wertvoller ist als Effizienz.
Und dass Verantwortung nicht delegiert werden kann.
Mein Fazit: Vom belächelten Modell zum Vorbild
Familienunternehmen sind keine Auslaufmodelle. Sie sind Zukunftslabore. Nicht, weil sie innovativer sind. Sondern weil sie etwas bewahren, das viele verloren haben: Sinn.
Es ist Zeit, sie wieder ernst zu nehmen. Nicht als Romantik der Wirtschaftsgeschichte. Sondern als lebendige Beispiele für eine Wirtschaft, die mehr sein will als nur Gewinnmaximierung.