1. Die unsichtbare Macht der Übergabe

In der Unternehmensnachfolge wird oft von Übergabe gesprochen – und selten von Rückzug.

Es wird geplant, geregelt, formalisiert. Gesellschaftsanteile wechseln den Besitzer, Geschäftsführerbestellungen werden neu erteilt, Beiratsmandate verschoben. Doch unterhalb der formalen Ordnung bleibt häufig eine Leerstelle, die in keiner Bilanz, aber in jeder Dynamik spürbar wird:

Wer hat jetzt eigentlich das Sagen?

In der Themenwoche KW 42 haben wir die Rolle von Kommunikation in der Nachfolge beleuchtet – als Vehikel für Deutung, Konflikt, Vertrauen und Identitätsverhandlung.

Doch Kommunikation kann nur klären, was auch strukturell, psychologisch und symbolisch geklärt ist.

Wer den Raum nicht hat, wird auch sprachlich nicht gehört.

Und wer nicht gehen kann, kann auch nicht übergeben.

Die Erfahrung aus über 100 Interviews im Rahmen meiner Forschung zu externer Nachfolge im deutschen Mittelstand zeigt deutlich:

Es ist nicht die juristische oder finanzielle Komplexität, die Nachfolge blockiert. Es ist das Unausgesprochene:

– Die Rollen, die nie explizit gewechselt wurden.

– Die Räume, die nie geräumt wurden.

– Die Macht, die nie wirklich abgegeben wurde.

1.1. Übergabe ≠ Übergang

Der Begriff „Übergabe“ suggeriert einen klaren, fast technischen Akt. Wie bei einem Staffellauf: Der Stab wird übergeben, der nächste läuft weiter.

Doch Nachfolge ist kein Staffellauf, sondern eine Verflechtung aus Macht, Identität, Bindung und biografischer Erzählung.

In vielen Familienunternehmen bleibt die alte Generation präsent – physisch, emotional, strukturell. Sie „berät noch“, „ist gelegentlich im Büro“, „mischt sich nicht ein – aber…“.

Was als Begleitung gedacht ist, wird schnell zur Verdoppelung von Führung. Der Nachfolger oder die Nachfolgerin hat das Mandat – aber nicht die Bühne.

Die Folge: Unsichtbare Machtstrukturen. Doppelte Loyalitäten. Lähmung.

1.2. Macht, Raum, Legitimität

Diese Woche rücken wir drei Konzepte in den Fokus, die in klassischen Nachfolgestudien oft nur am Rand erscheinen – obwohl sie zentrale Erfolgsfaktoren sind:

  • Rolle: Wer ist wofür verantwortlich – in den Augen der Organisation, der Familie, des Marktes?

  • Raum: Wer hat Zutritt – zu physischen, symbolischen und emotionalen Entscheidungsräumen?

  • Rückzug: Wer lässt wirklich los – nicht nur operativ, sondern auch narrativ und kulturell?

Es sind diese drei Dimensionen, in denen Nachfolge entweder gelingt – oder scheitert, ohne dass es je offiziell zum Bruch kommt.

1.3. Forschungslücke und Relevanz

Trotz der umfangreichen Literatur zur familieninternen Nachfolge (z. B. Sharma et al., Le Breton-Miller & Miller, De Massis), bleiben Machtverhältnisse jenseits formaler Rollen unterbelichtet.

Einige Arbeiten zum role conflict und role transition (Ashforth, Biddle) sowie zur legitimacy in family firms (Suchman, Zellweger, Hauck & Prügl) liefern erste Ansätze, doch empirische Studien zu Rückzugspraktiken, Raumstruktur und narrativer Kontrolle fehlen weitgehend.

Meine eigene Forschung bringt dieses Thema in den Kontext von externen Nachfolgelösungen, bei denen Macht- und Raumfragen besonders brisant sind:

– Kein familiäres Vertrauensvorschuss

– Kein informeller Kitt aus generationsübergreifender Loyalität

– Dafür strukturelle Unklarheit und symbolische Leerräume

Daraus leitet sich auch der zentrale Fokus dieser Woche ab:

Wie verhandeln wir Macht, wenn sie nicht mehr automatisch an Blutsverwandtschaft geknüpft ist?

Wie gestalten wir Räume der Autorität, wenn der Alte nicht geht – und der Neue nicht kommt?

1.4. Ausblick auf den Artikel

In den kommenden Abschnitten analysieren wir die Mechanismen, durch die Macht in Rollen eingeschrieben wird, wie räumliche Symbolik Einfluss auf die Legitimität nimmt, und warum der Rückzug der Altgeneration oft nicht gelingt – selbst wenn die Nachfolge auf dem Papier vollzogen ist.

Wir verknüpfen dabei klassische Theorien (Role Theory, Organisational Power, Symbolic Interactionism) mit Fallbeispielen aus dem deutschen Mittelstand – und formulieren am Ende einen Impuls:

Nachfolge muss als Verhandlungsraum von Rolle, Raum und Rückzug verstanden und gestaltet werden.

2. Die Macht der Rolle – Status, Identität und Legitimität in der Nachfolge

Wenn man einen Nachfolgeprozess betrachtet, scheint auf den ersten Blick vieles eindeutig geregelt: Die Gesellschafterverhältnisse sind angepasst, ein Geschäftsführerwechsel ist im Handelsregister dokumentiert, die interne Kommunikation verkündet den neuen Kurs klar. Und doch berichten viele Nachfolger:innen – insbesondere externe –, dass sie das Gefühl haben, nicht wirklich angekommen zu sein. Sie spüren Misstrauen, Zurückhaltung und verdeckte Kontrolle. Die Mitarbeitenden bleiben orientierungslos oder halten sich weiterhin an die Senioren. Offiziell wurde die Rolle gewechselt. Faktisch bleibt sie besetzt.

Diese Diskrepanz verweist auf ein grundlegendes Dilemma in Nachfolgeprozessen: Die formale Rolle allein genügt nicht, um Autorität zu erzeugen.

Sie muss als legitim erlebt werden – von der Organisation, den Stakeholdern und nicht zuletzt von den Beteiligten selbst.

Doch was bedeutet „Rolle“ in diesem Kontext überhaupt? Und warum ist sie in Familienunternehmen so hartnäckig an Person und Status geknüpft?

2.1. Rolle als soziale Konstruktion

In der soziologischen Rollentheorie (Biddle 1986; Goffman 1959) wird die Rolle als erwartetes Verhalten definiert, das einer bestimmten Position innerhalb eines sozialen Systems zugeschrieben wird. Sie ist weder rein individuell noch rein formal, sondern entsteht durch Interaktion und Rezeption. Rollen sind performativ – sie werden durch Handlungen hergestellt und durch das Umfeld rückversichert.

In Organisationen unterscheidet man grob zwischen:

  • formalen Rollen (z. B. „Geschäftsführer“, „Beiratsmitglied“)

  • informellen Rollen (z. B. „Mentor“, „Stimmungsmacher“, „Krisenlöser“)

In Familienunternehmen kommt eine dritte Ebene hinzu:

  • familiär-biografische Rollen (z. B. „Ältester Sohn“, „Tochter des Gründers“, „Enkel mit Potenzial“)

Diese Rollen sind nicht nur strukturell relevant, sondern auch emotional und symbolisch aufgeladen – und häufig stabiler als jede Stellenbeschreibung.

2.2. Die Untrennbarkeit von Rolle und Person

Ein zentrales Problem in der Nachfolge ist die personale Überformung der Rolle. Wenn der Gründer über Jahrzehnte hinweg nicht nur Geschäftsführer, sondern auch Identifikationsfigur, Kulturträger und Krisenmanager war, wird die Rolle selbst mit seiner Person gleichgesetzt. Das Amt ist nicht austauschbar – es ist verkörpert.

In meiner Forschung konnte ich wiederholt beobachten, wie schwierig es selbst für sehr kompetente Nachfolger:innen war, diese Rollenüberlagerung zu durchbrechen. Besonders in externen Nachfolgen fehlte die familiäre Verankerung, um als „natürlicher“ Nachfolger akzeptiert zu werden. Stattdessen prallten neue Führungsstile, professionelle Distanz und strategische Ambitionen auf ein Umfeld, das Rolle mit Zugehörigkeit verknüpfte.

Ein Interviewpartner formulierte es so:

„Ich war formal der CEO. Aber alle meinten: Der Alte ist ja eh noch da. Und auf den hören wir halt.“ (T5)

2.3. Legitimität – Das unsichtbare Mandat

Rollen erzeugen erst dann Wirkung, wenn sie als legitim anerkannt werden. Suchman (1995) unterscheidet dabei drei Dimensionen von Legitimität:

Legitimitätsdimension

Beschreibung (nach Suchman)

Beispielhafte Herausforderung bei externer Nachfolge

Strategischer Hebel zur Stärkung

Pragmatische Legitimität

Nutzenorientierte Wahrnehmung („Was bringt uns dieser Nachfolger?“)

Fehlender kurzfristiger Erfolg, Widerstand durch Altbelegschaft

Schnelle „Quick Wins“, Stakeholder-Dialoge

Moralische Legitimität

Wert- und normbasierte Übereinstimmung

Kulturbruch, andere Führungsprinzipien

Kulturelle Sensibilität, Wertedialog mit Kernteam

Kognitive Legitimität

Selbstverständlichkeit und Einbettung ins System

Der Nachfolger „passt nicht“ ins Selbstbild des Unternehmens

Narrativ aufbauen, symbolische Kontinuität herstellen

In Familienunternehmen scheitert Legitimität oft an der dritten Dimension. Externe Nachfolger:innen wirken fremd, nicht „gewachsen“, nicht eingebettet. Sie werden nicht als Fortsetzung des Bestehenden erlebt, sondern als Bruch. Selbst wenn sie erfolgreich agieren, bleibt ein Schatten der Skepsis.

In meiner Forschung habe ich vier typische Reaktionsmuster identifiziert:

Muster

Beschreibung

Beispielhafte Aussage

Tolerierter Technokrat

Wird wegen seiner Fachlichkeit geduldet, aber nicht als Nachfolger akzeptiert

„Fachlich top, aber kein Unternehmer im Herzen.“

Symbolischer Statthalter

Übernimmt die Rolle, bleibt aber strukturell fremdgesteuert

„Er darf entscheiden – aber bitte nur im Kleinen.“

Gegenentwurf

Wird gerade wegen seines Andersseins geholt – und dann für seine Fremdheit kritisiert

„Endlich frischer Wind – aber irgendwie zu viel.“

Legitimer Nachfolger

Wird als sinnvolle Weiterentwicklung erlebt und in allen Dimensionen akzeptiert

„Er ist anders, aber es fühlt sich richtig an.“

Diese Unterscheidungen sind keineswegs statisch. Ein Nachfolger kann durch kluge Symbolpolitik, frühzeitige Beziehungspflege und integrative Führung Legitimität aufbauen – oder durch distanzierte Kommunikation, autoritären Stil und kulturelle Brüche verlieren.

2.4. Schattenrollen und „graue Macht“

Besonders brisant wird es, wenn die Vorgängergeneration nicht aus dem System austritt, sondern im Hintergrund aktiv bleibt. In der Praxis entstehen dann Schattenrollen, die in keiner Organisationseinheit stehen, aber de facto Macht ausüben:

  • durch informelle Netzwerke

  • durch emotionale Loyalität der Mitarbeitenden

  • durch implizite Ansprüche an „Dankbarkeit“

  • durch räumliche Präsenz im Unternehmen

In Case Zeta war dies besonders deutlich: Der Altgesellschafter hatte offiziell alle Funktionen abgegeben, blieb jedoch täglich im Unternehmen präsent – mit eigenem Büro, Zugriff auf Mails und Teilnahme an Jour Fixes. Der externe Nachfolger berichtete:

„Er hat nicht gestört – aber auch nie Platz gemacht. Ich war immer der Gast in seinem Haus.“

Diese Grauzonen führen zu einem Zustand permanenter Rollenverwirrung – sowohl für Führungskräfte als auch für Mitarbeitende. Es entsteht eine Form der latenten Dualführung, in der niemand klar sagen kann, wer eigentlich das letzte Wort hat.

2.5. Typologien des Rollenversagens

Aus der Synthese qualitativer Fälle habe ich folgende Rollenversagenstypen abgeleitet:

Typ

Beschreibung

Verhaltensmuster

Risiken

Gegenmaßnahmen

Schattenlenker

Offiziell zurückgetreten, informell weiterhin aktiv

Präsenz im Betrieb, informelle Weisungen, subtile Einflussnahme

Untergräbt Autorität des Nachfolgers

Strukturelle Entflechtung, klare Governance

Rückzugsverweigerer

Bleibt operativ präsent trotz Übergabe

Teilnahme an operativen Meetings, Tagesgeschäft, informelle Einbindung

Loyalitätskonflikte, Doppelstruktur

Neue Rolle schaffen (z. B. Beirat, Coachrolle)

Mentor-Kontrolleur

Will „helfen“, greift aber ständig korrigierend ein

Korrigierende Hinweise, Einmischung bei Entscheidungen

Bevormundung, Vertrauensverlust

Moderierte Übergabegespräche, Rollenklarheit

Leerstellenverursacher

Zieht sich abrupt zurück, ohne Wissenstransfer oder kulturelle Übergabe

Kein Onboarding, keine Begleitung, völliger Rückzug

Machtvakuum, Orientierungslosigkeit, Identitätskrise

Geleiteter Exit-Prozess mit symbolischer Übergabe

Rollenkonvertierer

Entwickelt neue Rolle und bleibt unterstützend, aber distanziert

Rückzug aus operativer Führung, klare Kommunikation, Respekt

Ermöglicht Vertrauen, Stabilität und klare Verantwortlichkeit

Positivbeispiel, Vorbildfunktion

Nur letzterer Typ führt langfristig zu einer erfolgreichen Rollenneudefinition – und damit zu echter Führungsermächtigung.

2.6. Konsequenzen für externe Nachfolge

Externe Nachfolger:innen haben keine biografische Legitimation – sie müssen ihre Rolle schneller, klarer und bewusster definieren als innerfamiliäre Kandidat:innen. Das bedeutet:

  • Klare Mandate vertraglich und kommunikativ absichern

  • Rollenkonflikte frühzeitig thematisieren

  • Räume für symbolische Abgrenzung schaffen (z. B. neues Büro, neue Gremienstruktur)

  • Narrative aktiv gestalten („Warum gerade ich?“ – „Was verbindet mich mit dem Unternehmen?“)

In der Fallstudie Beta gelang dies durch einen intensiven Onboarding-Prozess, einen Beirat mit klaren Aufgaben im Bereich der Unterstützung und regelmäßige, moderierte Übergabegespräche mit dem Senior. Ergebnis:

„Er war nicht mein Vater – aber ich hatte das Gefühl, ich darf hier führen. Nicht nur arbeiten.“

2.7. Übergänge gestalten, nicht nur besetzen

Abschließend zeigt sich: Rollen müssen nicht nur gewechselt, sondern auch verhandelt, anerkannt und sichtbar gemacht werden.

Der Nachfolgeprozess ist kein Stuhlwechsel, sondern ein Prozess kollektiver Sinngebung und symbolischer Legitimation.

Das bedeutet für die Praxis:

  • Übergabe als organisationales Narrativ denken

  • Rollenklarheit in Strategie, Kommunikation und Struktur verankern

  • Legitimität nicht als gegeben voraussetzen, sondern aktiv erzeugen

Und für die Forschung:

  • Mehr empirische Studien zu informeller Rollendynamik in Nachfolgeprozessen,

  • stärkere Integration von Theorien der organisationalen Symbolik und spatial governance,

  • neue Mixed-Method-Ansätze, die Interviews, Raumstrukturen und Netzwerkdaten kombinieren.

3. Raum als Struktur und Symbol – Machtverhältnisse sichtbar machen

In der Nachfolge wird viel von Führung, wenig von Raum gesprochen.

Dabei ist Raum nie neutral. Er ist Ausdruck von Status, Träger symbolischer Macht, Bühne für Identitätsverhandlungen. Wer wo sitzt, wer Zugang zu welchem Raum hat, wessen Name an der Tür steht oder wessen Kalender weiterhin im System sichtbar bleibt – all das sind keine Nebensächlichkeiten. Es sind materialisierte Machtverhältnisse.

Gerade in Familienunternehmen, in denen Hierarchie, Zugehörigkeit und Emotion eng verwoben sind, wird Raum zu einem zentralen Medium, über das Autorität – oder deren Abwesenheit – markiert, verschleiert oder verteidigt wird. In der Unternehmensnachfolge ist Raum daher mehr als Infrastruktur. Er ist Struktur und Symbol zugleich.

3.1. Der Raum als „zweiter Text“

In der raumsoziologischen Forschung wird Raum als soziales Konstrukt verstanden (Lefebvre, 1991; Löw, 2001). Er entsteht nicht nur durch bauliche Gegebenheiten, sondern auch durch die Zuweisung von Bedeutung: Wer darf ihn betreten? Wem gehört er? Was geschieht in ihm – und was nicht?

Kornberger & Clegg (2004) sprechen in diesem Zusammenhang von „spatial power“: Raum ist nicht nur Ort, sondern auch Ordnung. Er schafft Sichtbarkeit, Verfügbarkeit und Ausschluss.

In der Nachfolge ist das relevant, weil Übergabeprozesse häufig räumlich nicht umgesetzt werden. Der Alte bleibt im gleichen Büro, der Neue sitzt „übergangsweise“ nebenan. Sitzungen finden weiterhin im Gründungszimmer statt. Der Beiratsraum trägt noch die Namensgravur des Seniors. Und obwohl der Geschäftsführungswechsel formal abgeschlossen ist, wird auf räumlicher Ebene signalisiert: Hier hat sich nichts verändert.

3.2. Räume der Macht – und der Ohnmacht

In meiner Forschung zur externen Nachfolge in Familienunternehmen konnte ich eine Vielzahl von Fällen dokumentieren, in denen räumliche Überlappung zu symbolischer Entmachtung führte. Externe Geschäftsführer oder Interimsnachfolger berichteten regelmäßig, dass sie sich wie Gäste fühlten – obwohl sie formal das Mandat inne hatten.

Ein Beispiel aus Case Gamma:

„Ich hatte zwar mein eigenes Büro, aber der alte Inhaber kam ständig vorbei. Mein Sekretariat saß noch vor seinem alten Raum. Die Leute wussten nicht, ob sie ihn oder mich ansprechen sollten.“

In solchen Fällen entstehen nicht nur Unsicherheiten – vielmehr entsteht ein dauerhafter Deutungsraum, der das Neue unterminiert. Das physische Nebeneinander von Alt und Neu macht die Machtverhältnisse ambivalent – und sendet Signale an die Organisation: „Hier ist keiner wirklich gegangen. Und keiner ist wirklich angekommen.“

Typische Konstellationen räumlicher Machtverschiebung:

Räumliche Situation

Symbolische Bedeutung

Organisatorische Folge

Senior bleibt im Gebäude

Alte Machtstruktur besteht weiter

Loyalitätskonflikte, Führungsschwäche

Senior und Nachfolger im selben Flur/Bürotrakt

Gleichrangigkeit, keine klare Trennung

Konfliktvermeidung, keine Autoritätsbildung

Senior bleibt im Vorstandssitzungszimmer

Deutungshoheit bleibt beim Vorgänger

Beirats- oder Geschäftsführung wird nicht legitimiert

Nachfolger bezieht das „alte Büro“

Ambivalente Kontinuität, Identifikationszwang

Belastung durch symbolische Erwartung, kein Neuanfang

Neuer Raum für den Nachfolger

Raum für neue Kultur, Führung, Distanz zur Vorgeschichte

Legitimation und Neugestaltung

3.3. Raum als Identitätsraum

Der Raum ist nicht nur Zeichen, sondern auch Identitätscontainer. In der Theorie der organisationalen Identität (Ashforth & Mael, 1989; Pratt & Foreman, 2000) wird betont, dass Organisationen sich über Symbole, Rituale und Räume selbst vergewissern. In Familienunternehmen gilt das in besonderer Weise:

Das Eckbüro des Gründers, die Eingangslobby mit den Ahnenbildern, der Besprechungstisch, an dem „damals alles begann“ – das alles sind materielle Sedimente unternehmerischer Identität.

Ein Nachfolger, der diese Räume besetzt, verändert, gar auflöst, gerät schnell unter Verdacht, die Identität des Unternehmens zu verraten. Gleichzeitig ist es ohne räumliche Neudeutung kaum möglich, eine neue Ära zu eröffnen.

In meiner Forschung zeigte sich, dass erfolgreiche Nachfolgen räumlich begleitet wurden:

– Der Senior bezog einen neuen Raum im Beiratsgebäude

– Das alte Büro wurde bewusst als „Archivraum“ umgewidmet

– Der neue Geschäftsführer bezog ein offen gestaltetes Raumkonzept, um sich von der „Tür-zu“-Kultur des Vorgängers zu unterscheiden

Ein Interviewpartner aus Case Eta sagte:

„Ich wollte nicht sein Büro übernehmen. Ich habe es umgebaut. Weg mit dem riesigen Mahagoni-Schreibtisch. Stattdessen ein ovaler Tisch – wir entscheiden jetzt gemeinsam.“

3.4. Raum als Übergangsritual

In der ethnografischen Nachfolgeforschung (u. a. Steier, 2001) wird Nachfolge auch als Ritual verstanden: ein Übergang, der nicht nur formal, sondern symbolisch vollzogen werden muss. Räume spielen hierbei eine zentrale Rolle.

– Wer übergibt wem welchen Schlüssel?

– Wer darf sich wo niederlassen?

– Wer verlässt welchen Raum – vor allen anderen?

Fehlende räumliche Rituale führen häufig zu Entgrenzung und Konfliktvermeidung. Niemand will „dem Alten sein Büro nehmen“, also bleibt alles wie es war – und die Macht bleibt implizit. Übergabe wird zur räumlichen Stagnation.

Umgekehrt kann Raumgestaltung aktiv zur Transformation beitragen. In Case Delta wurde im Rahmen der Nachfolge ein neues Innovationszentrum errichtet – nicht nur als strategische Maßnahme, sondern als kulturelles Symbol:

„Wir wollten zeigen: Eine neue Zeit beginnt. Und sie hat einen eigenen Raum.“

3.5. Raumverweigerung als Machtstrategie

In besonders konfliktgeladenen Fällen zeigte sich sogar, dass Raum gezielt verweigert oder kontrolliert wurde, um Macht auszuüben:

  • Senior verweigert Zugriff auf zentrale Besprechungsräume

  • Ehemaliges Büro bleibt abgeschlossen, aber nicht freigegeben

  • Digitalräume wie Kalender, Mails, Datenablagen werden nicht vollständig übergeben

Diese Formen der Raumverweigerung sind oft subtil, aber hochwirksam. Sie signalisieren: „Ich bin weg – aber nicht wirklich.“

Oder schlimmer: „Ich bestimme, wann du wo wirken darfst.“

Diese symbolischen Raumblockaden führen zu:

  • struktureller Verunsicherung

  • Wahrnehmung von „verdeckter Kontrolle“

  • Isolation des Nachfolgers

  • Verlust von Glaubwürdigkeit gegenüber Belegschaft und Stakeholdern

3.6 Praxisimpulse: Raum als Gestaltungselement der Nachfolge

Raumfragen müssen aktiv gestellt und nicht dem Zufall überlassen werden. Für die Praxis heißt das:

Frage

Gestaltungsimpuls

Wo sitzt der Nachfolger – und warum dort?

Aktive Raumwahl mit Symbolcharakter

Bleibt der Vorgänger präsent?

Neue Rolle, neuer Raum, neue Routinen

Welche Räume stehen für Macht, Geschichte, Wandel?

Räume umwidmen, sichtbar verändern, neu erzählen

Gibt es symbolische Übergaben?

Schlüssel, Büro, Namensschild, Zugangscodes als Übergaberituale

Wird Raum im System mitgedacht?

Governance-Regeln zu Zugang, Präsenz und Raumaufteilung

3.7. Integration ins MSTM-Modell (Mechanism–Structure–Trust–Mandate)

Räume spielen im MSTM-Modell insbesondere auf der Ebene der Structure eine zentrale Rolle. Sie beeinflussen:

  • Mandatswirksamkeit: Wer keinen Raum hat, kann sein Mandat nicht entfalten

  • Vertrauensbildung: Klare Raumverhältnisse schaffen Orientierung und Zugehörigkeit

  • Mechanismen: Räumliche Prozesse (z. B. Onboarding im neuen Raum, räumliche Rituale) fördern Übergang

In der Struktur-Dimension des MSTM-Modells ist daher die Frage „Wer hat Raum für was?“ kein Nebenschauplatz, sondern eine Kernvoraussetzung für die gelingende Transformation.

4. Der Rückzug als Führungsleistung – und warum er oft scheitert

In der öffentlichen Erzählung über Unternehmensnachfolge ist der Rückzug ein selbstverständlicher Bestandteil. Der Alte „zieht sich zurück“, „überlässt das Feld der nächsten Generation“, „bleibt beratend im Hintergrund“.

Doch in der Realität vieler Familienunternehmen bleibt der Rückzug ein leeres Versprechen, ein nie eingelöstes Narrativ – oder schlimmer: ein taktisches Spiel auf Zeit.

Rückzug ist nicht die Abwesenheit von Führung, sondern eine Form von Führung durch Loslassen. Und das macht ihn so schwierig.

4.1. Rückzug ist ein aktiver Akt, kein passives Abwarten

In der klassischen Führungsforschung wird selten thematisiert, was es heißt, aufzuhören zu führen. Während unzählige Bücher darüber geschrieben wurden, wie man Unternehmen gründet, führt, transformiert oder skaliert, bleibt das Ende von Führung ein blinder Fleck.

Dabei ist der Rückzug aus einer prägenden Führungsrolle eine der komplexesten Aufgaben, die einem Unternehmer oder einer Unternehmerin in der Lebensspanne begegnet – emotional, kulturell, strukturell.

In Familienunternehmen ist diese Herausforderung besonders intensiv. Hier ist der Rückzug nicht nur ein Wechsel von Funktion, sondern ein Verlust von Identität, Status und Einfluss, tief verwoben mit der Lebensleistung und dem Selbstbild des Gründers oder der Gründerin.

In der Sprache der organisationalen Psychologie ist Rückzug ein Status- und Identitätsbruch, vergleichbar mit dem Übergang in den Ruhestand, aber emotional noch aufgeladener, da der Rückzugsprozess innerhalb „des eigenen Werks“ stattfindet – unter Beobachtung, oft mit ambivalenten Gefühlen und normativer Erwartungshaltung.

4.2. Rückzugsverweigerung – fünf Spielarten des Nicht-Loslassens

In meiner Forschung konnte ich fünf typische Muster des nicht vollzogenen Rückzugs identifizieren. Sie treten in unterschiedlich ausgeprägter Form auf und betreffen sowohl innerfamiliäre als auch externe Nachfolgen:

Diese Typen zeigen: Rückzugsverweigerung ist nicht immer böser Wille. Häufig handelt es sich um ungelöste psychodynamische Spannungen, um Verlustangst, Deutungsmacht, Kontrollbedürfnis und Identitätsunsicherheit.

Ein Interviewpartner aus Case Alpha beschreibt es so:

„Er meinte immer, er sei ja raus. Aber alle großen Entscheidungen hat er über seine alten Vertrauten weiter beeinflusst. Ich hatte das Gefühl, ich war Geschäftsführer – aber nie Chef.“

4.3. Rückzug ist ein Prozess – nicht ein Ereignis

Der Rückzug muss als mehrstufiger, gestaltbarer Übergang verstanden werden – nicht als einmaliger Schritt. Folgt man der Literatur zu Transitionsprozessen (Bridges 1991; Ibarra 2004), lassen sich drei zentrale Phasen identifizieren:

  1. Ending – Loslassen der alten Rolle:

    Abschied von operativer Verantwortung, Rücknahme aus formellen Gremien, symbolische Entbindung von Pflichten.

  2. Neutral Zone – Übergangszeit:

    Begleitung ohne Kontrolle, Schaffen von Raum für Fehler, Distanzierung ohne Verlassen.

  3. New Beginning – Neue Rolle annehmen:

    Gestaltung eines neuen Selbstbilds – z. B. als Coach, Investor, Stifter – mit klarer Abgrenzung zur früheren Position.

Diese Phasen sind nicht linear. Viele scheitern, weil sie zu schnell von Phase 1 zu 3 springen wollen – ohne die Ambivalenz der Übergangszeit auszuhalten.

Rückzug braucht Rituale, Narrative und Struktur – sonst bleibt er eine Leerstelle, die das Neue blockiert.

4.4. Warum Rückzug so schwerfällt – psychologische Tiefenstruktur

Der Rückzug aus der Führung ist nicht nur eine organisatorische Veränderung, sondern ein biografischer Bruch. Psychologisch relevant sind u. a.:

  • Verlust von Identität: Wer bin ich ohne die Rolle als Unternehmer:in?

  • Abgabe von Kontrolle: Wie halte ich es aus, dass Entscheidungen anders gefällt werden?

  • Leere vs. Freiheit: Was fängt die Zeit auf, die nun frei wird?

  • Angst vor Bedeutungslosigkeit: Bleibt meine Lebensleistung sichtbar?

Diese Fragen greifen tief in das Selbstbild der Inhabenden. In Familienunternehmen kommen oft noch familiendynamische Aspekte hinzu:

– Wer übernimmt meine Rolle in der Familie?

– Wie gehe ich mit Konflikten um, wenn es um mein Lebenswerk geht?

– Was mache ich, wenn der Nachfolger scheitert?

In Case Theta wurde dies besonders deutlich: Der Senior zog sich formal zurück, doch seine Unsicherheit spiegelte sich in einem obsessiven Kontrollverhalten:

„Er hat ständig nachgefragt, ob wir auch genug Rücklagen bilden. Nicht, weil er uns misstraute – sondern weil er das Gefühl hatte, dass er sonst nichts mehr beitragen kann.“

4.5. Was Rückzug ermöglicht – und verhindert

Ein gelungener Rückzug schafft:

  • Raum für neue Führung

  • Klarheit für die Organisation

  • Wachstumspotenzial für den Nachfolger/die Nachfolgerin

  • Respekt für die Lebensleistung des Seniors

Ein misslungener Rückzug verhindert:

  • Autoritätsaufbau

  • Innovationsimpulse

  • Strukturtransformation

  • Motivation der nächsten Generation

Das zentrale Problem ist oft das gleichzeitige Festhalten an operativer Präsenz und an informeller Deutungshoheit. Die Nachfolger:innen bekommen das Mandat, aber nicht das Feld.

4.6. Rückzug gestalten – mit Struktur, Haltung und Symbolik

Rückzug kann gelingen – wenn er bewusst gestaltet wird. Hier einige Bausteine aus meiner Praxis und Forschung:

Gestaltungselement

Ziel

Rückzugsdialoge

Offene Gespräche über Erwartungen, Rollen, Zeitpläne

Formalisierte Exitpläne

Klare Meilensteine und Deadlines für Gremienverzicht und Büroabgabe

Neue Rolle definieren

z. B. Beirat, Stifter, Ehrenvorsitz – mit inhaltlicher Entkoppelung

Narrative Übergabe

Gemeinsame Kommunikation zur Übergabe – intern wie extern

Mentor auf Zeit

Zeitlich limitierte, klar umrissene Begleitung

Symbolischer Akt

z. B. Schlüsselübergabe, Namensschildtausch, Büroabschluss

Diese Elemente wirken vor allem dann, wenn sie nicht als PR-Tool, sondern als Führungselemente verstanden werden.

4.7. Rückzug als Bestandteil des MSTM-Modells

Im MSTM (Mechanism–Structure–Trust–Mandate)-Modell ist Rückzug nicht das Ende, sondern ein aktiver Mechanismus, der alle vier Ebenen betrifft:

  • Mechanisms: Rückzugsprozesse sind strukturierte Übergabemechanismen

  • Structure: Neue Verantwortungs- und Raumstruktur muss Rückzug abbilden

  • Trust: Rückzug erfordert wechselseitiges Vertrauen in den Weg des anderen

  • Mandate: Ohne Rückzug bleibt das Mandat des Nachfolgers formal, aber nicht wirksam

Der Rückzug ist damit kein Privileg, sondern eine Pflicht zur Ermöglichung von Zukunft. Oder wie es ein Beirat in Case Zeta formulierte:

„Ein guter Rückzug ist wie ein gut gebautes Fundament: Man sieht es nicht – aber es trägt das Neue.“

5. Fazit & Synthese – Übergabe als Macht- und Raumverhandlung

„Die Nachfolge ist geregelt.“

Kaum ein Satz klingt in der Welt der Familienunternehmen so beruhigend – und ist zugleich so trügerisch. Denn was auf dem Papier geregelt scheint, ist in der Realität häufig ein Machtvakuum, ein Rollenchaos, eine Vermeidungsstrategie mit Briefkopf.

Die letzten Abschnitte haben gezeigt:

Nachfolge ist kein Ereignis, sondern ein tiefgreifender Übergangsprozess, in dem Rollen, Räume und Rückzug als zentrale Dimensionen wirken – strukturell, symbolisch und psychologisch.

Doch was bedeutet das im übergeordneten Zusammenhang – und was folgt daraus für Theorie und Praxis?

5.1. Rollen, Räume, Rückzug – eine Triade der Übergangsdynamik

In den untersuchten Fallstudien meiner Forschung zur externen Nachfolge im deutschen Mittelstand zeigte sich ein wiederkehrendes Muster:

Immer dann, wenn Nachfolgeprozesse ins Stocken gerieten oder scheiterten, war mindestens eine dieser drei Dimensionen ungeklärt oder aktiv blockiert.

Umgekehrt zeigten erfolgreiche Übergaben eine bewusste Gestaltung und Abstimmung dieser Elemente.

Dimension

Zentrale Frage

Typisches Risiko bei Nicht-Gestaltung

Rolle

Wer hat welches Mandat – und wird es als legitim anerkannt?

Schattenführung, Autoritätsverlust, Doppelrollen

Raum

Wer nimmt welchen Platz ein – räumlich, symbolisch, funktional?

Machtambiguität, Loyalitätskonflikte, kulturelle Stagnation

Rückzug

Wie gelingt das Loslassen – strukturell, emotional, narrativ?

Gedeckter Machterhalt, Identitätskonflikte, Kontrollverhalten

Diese Triade bildet den operativen Unterbau gelingender Nachfolgeprozesse – weitgehend unabhängig von Eigentümerstruktur, Nachfolgeform oder Unternehmensgröße.

5.2. Einbettung ins MSTM-Modell

Im von mir entwickelten MSTM-Modell (Mechanism–Structure–Trust–Mandate) lassen sich die drei Dimensionen präzise verorten und theoretisch verankern:

  • Rollen sind Träger des Mandats: Wer eine Rolle übernimmt, braucht Mandat – formal wie symbolisch.

  • Räume gestalten die Struktur: Sie machen Hierarchie, Zugehörigkeit und Veränderung sichtbar.

  • Rückzug ist ein zentraler Mechanismus, der die Voraussetzung für neue Vertrauenskonstellationen schafft.

Ohne die bewusste Gestaltung dieser Übergangsdynamiken bleibt das Modell zwar formal intakt, aber faktisch entleert– Mandate wirken nicht, Strukturen greifen nicht, Vertrauen kann nicht wachsen.

Insofern liefert die Triade „Rollen. Räume. Rückzug.“ nicht nur eine praxisorientierte Perspektive, sondern konkretisierende Bausteine für eine empirisch informierte Theoriebildung.

5.3. Übergabe als Macht- und Raumverhandlung

Die tiefere Einsicht aus der Analyse lautet: Nachfolge ist eine Verhandlung von Machtverhältnissen – durch Rollen, Räume und Rückzug.

Diese Machtverhältnisse sind nicht allein durch Satzungen, Beiratsbeschlüsse oder Geschäftsführerwechsel geklärt. Sie manifestieren sich:

  • in Verhaltensmustern

  • in symbolischen Gesten

  • in körperlicher Präsenz

  • in nonverbaler Kommunikation

  • in räumlicher Inszenierung

Oft wird unterschätzt, dass es nicht nur um den Übergang von einer Generation zur nächsten geht, sondern um den Transfer von Bedeutung, von Zugehörigkeit, von Deutungshoheit.

Ein Raum bleibt nicht einfach leer, nur weil jemand ihn verlässt.

Eine Rolle bleibt nicht automatisch neutral, nur weil sie wechselt.

Und Rückzug ist nicht vollzogen, nur weil jemand keine Unterschrift mehr leistet.

Es braucht aktive Gestaltung, Aushandlung, auch Konflikt – aber vor allem: Bewusstsein.

5.4. Kommunikation als vierte Dimension

Obwohl dieser Theorieartikel sich auf Rollen, Räume und Rückzug konzentriert, ist eine vierte Ebene omnipräsent – und wurde bereits in KW 42 intensiv behandelt: Kommunikation.

Denn Rollen werden nicht einfach besetzt, sondern erzählt.

Räume wirken durch Gesten, Narrative und Rituale.

Und Rückzug gelingt nur, wenn ausgesprochen wird, was fehlt, was bleibt, was neu beginnt.

Insofern wirkt Kommunikation nicht als zusätzliche Dimension, sondern als durchdringende Kraft, die alle drei Achsen verbindet und transformiert. Wer den Übergabeprozess kommunikativ scheitern lässt, wird auch in Rollen, Räumen und Rückzug keine Klarheit erzeugen.

5.5. Reflexion für die Praxis

Für Unternehmensinhaber:innen, Beiräte und Nachfolger:innen ergeben sich daraus zentrale Fragen:

  • Rolle: Wird mein Mandat nicht nur anerkannt, sondern auch gelebt? Oder fülle ich eine Rolle ohne Autorität?

  • Raum: Wie sieht mein Platz aus – buchstäblich und im übertragenen Sinn? Welche Räume stehen für Wandel, welche für Verharren?

  • Rückzug: Bin ich wirklich bereit, loszulassen? Oder war die Übergabe eine taktische Maßnahme?

  • Kommunikation: Was wird nicht gesagt – und warum? Wer spricht die Wahrheit über den Status quo?

Diese Fragen sind unbequem. Aber sie sind notwendig, wenn Nachfolge mehr sein soll als ein Organigrammwechsel.

5.6. Perspektiven für Forschung & Theorie

Für die wissenschaftliche Forschung zur Unternehmensnachfolge – insbesondere in Familienunternehmen – ergeben sich folgende Anschlussmöglichkeiten:

  • Stärkere Berücksichtigung spatialer Dynamiken (Kornberger & Clegg, 2004; Dale & Burrell, 2008)

  • Integration organisationaler Identitätsprozesse in den Rollenbegriff (Ashforth & Mael, 1989; Pratt & Foreman, 2000)

  • Theoretische Verknüpfung von Loslösung und Legitimität (Suchman, 1995; Lepsius, 1993)

  • Mixed-Method-Studien zu Raum, Symbolik und Führungswechsel

  • Verfeinerung von Modellen wie dem MSTM durch qualitative und quantitative Validierung der Übergabedynamiken

Die Übergabe in Familienunternehmen ist ein Reallabor für organisationale Transformation – sofern sie nicht als Verwaltung, sondern als Verhandlung verstanden wird.

🧠 Abschließende Erkenntnis:

Wer nachfolgt, braucht Raum.

Wer Raum will, braucht Rolle.

Wer Rolle annehmen soll, braucht den Rückzug des Anderen.

In dieser Logik liegt die Kraft – und das Risiko – jedes Übergangs.

Denn nicht was übergeben wird, entscheidet über den Erfolg der Nachfolge, sondern wie.


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